Ein universelles Modell der Führung

Entwicklung von Führungskräften in einem komplexen Umfeld.

Bob Anderson und Bill Adams

Wir müssen das Tempo beschleunigen, mit dem wir Führungskräfte mit Blick auf die komplexe Realität des heutigen Geschäftsumfelds entwickeln. Das Tempo der Entwicklung muss mindestens mit der Geschwindigkeit der Veränderungen und der zunehmenden Komplexität Schritt halten. Diese Führungsagenda ist aktuell eine Herausforderung in den meisten Organisationen. Und die derzeitigen Ansätze für die Entwicklung von Führungskräften sind dieser Herausforderung nicht gewachsen. Der Bereich der Führungskräfteentwicklung ist eine willkürliche Ansammlung von zwar sehr guten, aber völlig unzusammenhängenden Theorien und Forschungsansätzen. Dies führt zu einer bruchstückhaften Herangehensweise mit einer schlechten Erfolgsbilanz.

Nach 30 Jahren verschiedener Versuche, den zerstückelten Bereich der Führungstheorie und -forschung zusammenzuführen, haben wir ein Universelles Modell der Führung entwickelt. Dieses Modell ist sowohl umfangreich als auch elegant genug, um die komplexe Aufgabe der Entwicklung von Führungskräften für die Zukunft anzugehen.

Wir stellen das Modell in einem Kreis (siehe Abbildung 1) dar, der durch eine vertikale und eine horizontale Achse in vier Quadranten eingeteilt ist. Die vertikale Achse steht für die Stufe der Entwicklung einer Führungskraft – der Grad der Reife ihrer inneren Ressourcen, der sich auf die Effektivität der äußeren Ressourcen in ihrem Führungsstil auswirkt. Die progressiven Stufen der Erwachsenenentwicklung bilden das Rückgrat unseres Universellen Modells. Die horizontale Achse ist durch Aufgabe und Beziehung definiert. Die Forschung hat gezeigt, dass die Effektivität einer Führungskraft größtenteils anhand dieser zwei Variablen erklärt werden kann – wie gut sie Aufgaben angeht und wie gut ihre Beziehungen sind. Führungskräfte, die Aufgaben effektiv erledigen und großartige Beziehungen aufbauen, sind effektiver. Keine andere Kombination von Variablen kann die Effektivität einer Führungskraft besser erfassen.

Dem Universellen Modell der Führung liegt dieses Vier-Quadranten-Schema zugrunde. Eine Führungskraft kann kreativ und auf eine einbindende, ermächtigende Weise mit Menschen umgehen und das Beste aus ihnen herausholen. Umgekehrt kann diese Führungskraft Menschen reaktiv, auf eine Personen-orientierte und herzliche Weise behandeln. Sie gibt dabei allerdings zu viel Macht ab, um gemocht und angenommen zu werden. Eine Führungskraft kann Aufgaben kreativ angehen, indem sie zielgerichtet und mit Blick auf die Vision handelt, um effektiv Ergebnisse und eine systemische Verbesserung zu erzielen. Umgekehrt kann diese Führungskraft Aufgaben reaktiv angehen, indem sie übermäßig starke Kontrolle ausübt und die Organisation und Menschen über die Grenze der Nachhaltigkeit hinaus antreibt.

Aus diesem Kernmodell haben wir das Leadership Circle Profile (LCP) entwickelt, eine 360°-Führungsbewertung, die Führungskräften basierend auf dem Universellen Modell Rückmeldung zu ihrer Effektivität gibt (siehe Abbildung 2). Im äußeren Kreis der oberen Hälfte des LCP findet sich eine Reihe an 18 zentralen kreativen Führungskompetenzen, deren starker Zusammenhang mit Führungseffektivität (r = 0,93) und Unternehmensleistung (r = 0,61) gut erforscht ist. Im äußeren Kreis der unteren Hälfte findet sich eine Reihe an 11 reaktiven Führungsstilen, die die kreativen Kompetenzen beeinträchtigen und damit stark negativ mit Führungseffektivität (r = -0,68) und Unternehmensleistung (r = -0,32) korrelieren.

Der innere Kreis der oberen Hälfte des Modells gruppiert die 18 Kompetenzen in fünf Kategorien, die die beste Führungstheorie und -forschung aus den letzten 100 Jahren umfassen. Diese fünf Kategorien sind entlang der Beziehung-Aufgabe-Achse angeordnet, wobei „In Beziehung sein“ und „Eigenwahrnehmung“ auf der linken bzw. der Beziehungsseite des Kreises und „Leisten und Erreichen“ sowie „Systemwahrnehmung“ auf der rechten bzw. der Aufgabenseite stehen. „Authentizität“ ist mittig platziert, da diese für die individuelle und kollektive Führungseffektivität von zentraler Bedeutung ist.

Die untere Hälfte des Kreises spiegelt diese Anordnung. „Sich anpassend“ ist reaktiv an den Menschen orientiert und links unter „In Beziehung sein“ platziert. „Kontrollierend“ steht rechts unter „Leisten und Erreichen“, da dies reaktiv an den Aufgaben orientiert ist. „Sich selbst schützend“ befindet sich in der Mitte. Diese Art der Zuordnung der Dimensionen des inneren Kreises bildet den Kern des Modells.

Das Optimale Führungsprofil oben wurde durch die Befragung von 50.000 Managern und Managerinnen weltweit erstellt. Diese wurden gebeten, die Art von Führung zu beschrieben, die – wenn sie in ihrer Organisation vorhanden wäre – der Organisation zu Erfolg auf ihrem derzeitigen und zukünftigen Markt verhelfen würde. Das daraus entstandene optimale Führungsprofil zeigt in der oberen Hälfte hohe und in der unteren Hälfte niedrige Ergebnisse. Wie hoch ein Ergebnis im LCP ist, wird durch die Entfernung von der Mitte angezeigt. Hohe Ergebnisse, als Perzentile im Vergleich zu unserer weltweiten Normgruppe angezeigt, sind weiter von der Mitte entfernt. Schwächere Ergebnisse liegen hingegen näher an der Mitte. Ein optimaler Führungsstil ist hochkreativ (in der 90. Perzentile im Vergleich zu unserer weltweiten Datenbank mit den LCP-Bewertungsergebnissen von Führungskräften) mit niedrigen reaktiven Ergebnissen (ungefähr in der 10. Perzentile). Er beinhaltet auch die Fähigkeit, Aufgabe und Beziehung ins Gleichgewicht zu bringen. Unterschiedliche Kulturen zeichnen ein ähnliches Bild von optimaler Führung.

Wir wissen also, dass sich effektive Führung auf individueller wie auf kollektiver Ebene auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Damit stellt sich aber die Frage, wieso so wenig Organisationen eine Führungskultur haben, die dieses Wissen widerspiegelt? Wieso haben wir keine besseren Wege, die Entwicklung der individuellen und kollektiven Effektivität der Führung zu messen und nachzuverfolgen? Wieso ist diese Führungsagenda kein Unternehmensziel, das Führungskräfte in Senior-Positionen als strategische Priorität für die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils verfolgen?

Unsere Forschung liefert solide Evidenz dafür, dass Führungsfähigkeit und -effektivität stark von der Stufe der Entwicklung der Führungskraft abhängen, und validiert damit die primäre Bedeutung der inneren Ressourcen für die Führungseffektivität. Herausragende Fähigkeit tritt im gleichen Maße zum Vorschein, wie die kreative Stufe des Führungsstils heranreift.

Entwicklung ist die Doppelhelix-Kombination von Kompetenz und Bewusstsein, inneren Ressourcen und äußeren Ressourcen, Können und Reife. Das Universelle Modell der Führung führt das Beste aus Theorie und Praxis der Entwicklung von Führungskräften zusammen.

All diese Erkenntnisse weisen darauf hin, dass die Entwicklung eines effektiven Führungsstils, insbesondere in komplexen Führungspositionen, ein langfristiges Projekt ist – sie ist eine Lebensaufgabe. Der Prozess der Entwicklung eines herausragenden Führungsstils deckt sich mit dem Prozess, eine herausragende Person zu werden. Wenn wir unsere Führungsagenda erfüllen wollen, müssen wir die Entwicklung von Führungskräften neu denken. Unsere Anstrengungen müssen langfristig und systemisch (und nicht episodisch und bruchstückhaft) sein. Sie müssen die individuelle wie die kollektive Ebene erfassen und die inneren und äußeren Ressourcen der Führung zusammenführen. Alles andere führt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg.

Die Entwicklung herausragender Führungskräfte, die in der Lage sind, in dem komplexen globalen Geschäftsumfeld von heute elegant und gekonnt zu führen, muss den Fokus auf die Entwicklung von Fähigkeit und Bewusstsein gleichermaßen legen. Die inneren und äußeren Ressourcen müssen gleichzeitig entwickelt werden. Dies ist ein Gebot der Führung. Das ist die individuelle und kollektive Entwicklungsagenda für alle Menschen in Führungspositionen.

 

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Auszug aus Mastering Leadership: An Integrated Framework for Breakthrough Performance and Extraordinary Business Results, von Robert J. Anderson und William A. Adams (Wiley, 2015)

 

Bob Anderson ist Chairman und Chief Development Officer und Bill Adams ist CEO von Leadership Circle. Sie sind die Co-Autoren von Mastering Leadership (Wiley). Mehr auf www.fcg-global.com http://www.leadershipcircle.com/de.

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